Sein Weg

Gay Talese – die Legende in Sachen Journalismus und eleganter Stil, dessen 1966 im Esquire erschienener Beitrag „Frank Sinatra Has a Cold“ den Zeitschriftenstil nachhaltig veränderte – spricht mit Tyler Thoreson über „Old Blue Eyes“ und seine Bedeutung als ein Mann mit Stil

Als Frank Sinatra im Winter 1965 kurz vor seinem 50. Geburtstag stand, wurde er gerade von der Welt überholt. Die Beatles und die Rolling Stones hatten eine völlig neue Musikära eingeleitet, eine neue Haltung und einen neuen Look, während Sinatra sich gerade mit unangenehmen Gerüchten um mögliche Verbindungen zur Mafia herumschlug, und – noch viel schlimmer – mit seiner eigenen beginnenden Bedeutungslosigkeit. Aber dort, wo viele in Sinatra ein Relikt sahen, sah der legendäre Esquire-Herausgeber Harold Hayes eine Story. Und so kam es, dass, als Sinatra sich auf ein Comeback-Special bei NBC vorbereitete, Hayes einen ehemaligen Reporter der New York Times namens Gay Talese nach Beverly Hills schickte, um das Umfeld des „Chairman of the Board“ einzufangen.

Es kostete ein ganzes Stück Überzeugungsarbeit. „Ich wollte das nicht machen“, erinnert sich Talese auf einem Sofa in seinem „Bunker“ sitzend, dem Office-cum-Lair im Keller des Reihenhauses in Manhattan, das er und seine Frau, die berühmte Redakteurin und Herausgeberin Nan Talese, nun seit einigen Jahrzehnten ihr Zuhause nennen. „Sinatra war einfach ausgereizt. Wenn man es mit Prominenten zu tun hat, die schon seit langer Zeit im Blick der Öffentlichkeit stehen, und so eingenommen von ihrem eigenen Erfolg sind, und so daran gewöhnt sind, sich in dieser eigenen Welt zu bewegen ... dann wissen die oft gar nicht, wer sie wirklich sind“, fügt Talese hinzu. „Ihnen Fragen zu stellen, was für einen Sinn soll das haben? Das sind keine Menschen, das sind Abbilder. Sie sind so an Interviews gewöhnt, dass sie wahrscheinlich jede Antwort schonmal woanders gegeben haben, und sie vorher eingeübt haben, und so vorhersehbar antworten, dass sie eigentlich nichts sagen. Ich wollte das nicht machen.“
                            Gay Talese. Niemals nicht gut gekleidet
Gay Talese. Niemals nicht gut gekleidet

Er befand sich immer auf einer Bühne, auch auf den Straßen von Las Vegas um vier Uhr früh

Hayes setzte sich schließlich gegenüber Talese durch (ein großzügiges Spesenkonto für das Beverly Wilshire Hotel war dabei hilfreich). Das Ergebnis war der 15.000-Worte-Artikel „Frank Sinatra Has a Cold“, eine kunstvolle Mischung aus akribischem Bericht und pfiffiger Erzählung. Er gilt als einer der besten Zeitschriftenartikel, die jemals veröffentlicht wurden, und wird allgemein als der Ursprung des New Journalism mit Vertretern wie Tom Wolfe und Hunter S. Thompson angesehen. Es ist eine bedeutende Geschichte in den Annalen von Medien und Kultur. Aber, wie Talese wohl sagen würde, das gab es alles schon.

Ich wollte vor allem über Sinatras Stil sprechen. Jetzt, nach 50 Jahren, wirken Pilzköpfe und Nehru-Kragen von John, Paul, George und Ringo irgendwie blöd. Aber Sinatra mit seinem Filzhut und den makellos geschneiderten Anzügen vermittelt noch immer, wie ein Mann sich kleiden sollte.
                            Das Cover der Aprilausgabe des <em>Esquire</em> 1966, illustriert von Ed Sorel
Das Cover der Aprilausgabe des Esquire 1966, illustriert von Ed Sorel

Es gibt diese großartige Szene in besagtem Artikel, als Sinatra eine kleine Auseinandersetzung mit dem Schriftsteller Harlan Ellison hat, der lässig und jugendlich gekleidet war. Für Ellison war der 49-jährige Sinatra ein Dinosaurier, Schnee von gestern, vor allem durch die Brille des Generationenkonfliktes gesehen, der zu dieser Zeit, 1965, bestand.
Dem Jahr der Beatles.

Ja. Und auf der anderen Seite steht Sinatra, der extrem pingelig war. Hat der stattfindende Generationenkonflikt seinen inneren Griesgram nach außen gekehrt?
Nun, er war nicht nur daran gewöhnt, alles auf seine Art machen zu können, aber er hatte auch seinen Stil und wollte, dass sein Stil die Kultur durchdringen konnte. Und dann war da die neue, aufstrebende Generation, die die Traditionen, deren Anerkennung Sinatra von den Menschen erwartete, nicht respektierte. Obwohl er sich auch davor gefürchtet hatte, vergessen zu werden, bevor er sein geglücktes Comeback hatte, erwies er dieser neuen Generation auch seine Achtung, indem er sich mit einer Frau dieser Zeit, mit Mia Farrow, zusammentat.

Versuchte er so, beides zu haben, Tradition und Moderne?
Sehen Sie sich Tony Bennett an, der mit Lady Gaga gemeinsam gearbeitet hat. Das ist gar nicht mal so eine besondere Art des Überlebens, dass gestandene Leute aus dem Show Business sich mit angesagten Leuten zusammentun. Sinatra hat das oft gemacht.

Aber seinen Look hat er der neuen Zeit nicht angepasst.
Nein, das hat er nicht. Als ich dort war, sah er fast so aus wie auf einem Cover eines seiner Alben. Der Typ mit der Zigarette und dem schiefen Hut.

Er war ein Hut-Mensch.
Sinatra hat nicht immer einen Hut getragen, aber oft. Er achtete auf Kleidung, und er kaufte auch Kleidung für andere. Wie viele prominente Männer kennen Sie, die Kleidung für andere Männer kaufen? Sinatra hat das gemacht.

Können Sie mir ein Beispiel nennen?
Für Weihnachten hat er Pullover und Jacketts für seine Bandmitglieder gekauft. Ich kann mich erinnern, dass es da einen Klavierspieler gab, der sein Haus bei einem Erdrutsch verloren hatte. Sinatra kaufte ihm eine komplette Garderobe, und er kannte seine Hemdgröße.
                            Sinatra mit Sammy Davis Jr. bei einer Aufnahme 1963 f&#xFC;r <em>Come Blow Your Horn</em>
Sinatra mit Sammy Davis Jr. bei einer Aufnahme 1963 für Come Blow Your Horn

Es gibt da diese großartige Szene, als Sinatra während der frühen Morgenstunden in Las Vegas mit einem vollen Bourbon-Glas herumläuft. Alle anderen lassen sich ziemlich gehen, aber Sinatra ist so elegant wie eh und je. War er zu dieser Zeit – also in den frühen Morgenstunden – wirklich noch so fit, oder konnte er einen einfach nur davon überzeugen, dass er diese Haltung immer hatte?
Ich glaube, er hat sich immer so gefühlt wie am Filmset. Er war immer auf einer Bühne, auch auf den Straßen von Las Vegas um vier Uhr früh. Er hatte auch dieses ganz extreme Selbstbewusstsein, das so überhaupt nicht normal war. Es war immer alles außergewöhnlich oder nicht normal. Das Leben war ein Film, ein Set, eine Bühne.

Aber für ihn war das so. War er gerne auf der Bühne? Liebte er es, die Rolle "Frank Sinatra" zu spielen?
Ich glaube schon, aber wenn Sie ihm eine Frage gestellt haben, die er nicht mochte, hätte er Ihnen wahrscheinlich ein Glas ins Gesicht geschüttet.

Haben Sie ihn jemals weniger gut gekleidet gesehen?
Nein, ich habe ihn niemals ohne Jackett gesehen. Und das müssen Sie sich mal vorstellen: Ich habe ihn auch nie ohne Krawatte gesehen. Aber ich habe ihn ja auch immer „offiziell“ gesehen.

Er war immer auf die gleiche Weise gekleidet, und Sie sind das auch.
Wir stecken in der Mode der Jahrhundertmitte fest.

Interessieren Sie sich für den Kleidungsstil anderer Menschen?
Ich interessiere mich für Menschen, die sehr traditionell und elegant kleidet sind und für Menschen, die Geld für Bekleidung ausgeben.
                            Fotos aus dem &#x201E;Bunker&#x201C;, dem Keller von Taleses Haus an Manhattans Upper East Side. Hier arbeitet der ber&#xFC;hmte Autor und katalogisiert sorgf&#xE4;ltig seine Notizen und fr&#xFC;heren Berichterstattungen
Fotos aus dem „Bunker“, dem Keller von Taleses Haus an Manhattans Upper East Side. Hier arbeitet der berühmte Autor und katalogisiert sorgfältig seine Notizen und früheren Berichterstattungen

Als Journalist bezeichnen Sie gute Kleidung bei einem Interview als Zeichen von Respekt. In der heutigen Zeit ist aber alles viel legerer geworden. Glauben Sie, dass Sie sich aus einer Rebellion gegen diese Tatsache heraus elegant kleiden?
Herr Thoreson, von dem günstigen Blickwinkel eines jungen Menschen, so wie Sie [Anm. d. Verf.: Talese dehnt die Definition von „jung“ wohlwollend aus.], mag es wohl so sein, aber für mich hat das wirklich etwas mit Respekt für die Rolle als Journalist zu tun – der Journalisten oft fehlt, denke ich. … Sinatra hielt an den Standards der 1950er Jahre fest, als alle Männer Hüte trugen.

Ganz egal, aus welcher Schicht sie kamen. Was kann der Mann von heute von Sinatra und seiner Einstellung zu Stilfragen lernen?
Nun, ich glaube, dass Sinatra ein echtes Bild von Männlichkeit hatte. Sinatra interessierte sich für Maskulinität und Eleganz. Nicht nur Damen waren glamourös – Herren waren es auch. In dieser Zeit war man als Mann in einer gehobenen Position, ob in der Politik, im Geschäftsleben oder in der Werbebranche, immer ziemlich gut gekleidet. Das änderte sich schlagartig in den 1960er Jahren.

Menschen, die mir im NYU Fachbereich für Journalistik begegnen, wo ich manchmal Vorträge halte – selbst, wenn ich an der Fakultät tätig wäre, würde ich mich nicht so kleiden wie die Menschen dort, weil sie nochmal jung sein wollen. Sie wollen sich ihren Studenten anpassen. Ich will mich nicht den Studenten anpassen. Ich bin keiner.

Erwarten Sie von ihnen, dass sie sich an Sie anpassen?
Sie sollen wissen, dass zwischen ihnen und mir eine Riesenlücke klafft, weil es eben so ist. Und wenn sie hervorragende Journalisten und gute Schriftsteller sind, dann steht das auf einem anderen Blatt.

Es gibt die Ansicht, dass Stil mühelos wirken sollte. Sie scheinen aber das Gegenteil zu sagen, nämlich, dass man vermitteln sollte, dass er Mühe kostet.
Gene Kelly mit „I‘m singing in the rain“ – das ist mühelos. Es hat Monate gedauert, bis jeder einzelne Tanzschritt im Regen so saß, dass es mühelos wirkte. Bei Joe DiMaggio sah das Bällefangen auch immer einfach aus, war es aber nicht. Nichts, dass einfach aussieht, ist einfach. Nichts.
TYLER THORESON ist Chefredakteur von Ralph Lauren Digital.
  • FOTO VON GJON MILI
  • FOTO MIT FREUNDLICHER GENEHMIGUNG VON GAY TALESE
  • FOTO MIT FREUNDLICHER GENEHMIGUNG VON ESQUIRE MAGAZINE
  • FOTOS VON GORDON HARRISON HULL