RL – Fragen und Antworten: Charlie Siem

Der Geigenvirtuose über Musik, die neue Kollektion von Purple Label und die anhaltende Faszination des Porsche

Charlie Siem ist kein Autorennfahrer, kein Profiskifahrer, kein Modedesigner und auch kein Model – jedenfalls nicht hauptberuflich. All diese Berufe sind nur Hobbys und Zeitvertreib für den Engländer, der eine Ausbildung in Eton und Cambridge genossen hat. Tatsächlich ist Siem einer der besten Violinisten der Welt. Mehr als 300 Tage im Jahr reist er rund um den Globus, um mit den renommiertesten Orchestern der Welt aufzutreten (ansonsten ist er auf der Rennstrecke, auf der Skipiste nahe des Familien-Chalets in Gstaad oder an der Savile Row beim designen seiner Auftrittsgarderobe anzutreffen). Doch das ist noch nicht alles. Mühelos gelingt ihm der Brückenschlag zwischen ernster Musik und Popkultur (er stand schon mit Miley Cyrus und Lady Gaga auf der Bühne). Mit seinem sorglosen Charme schafft er es aber auch, die Konzerthäuser zu verzaubern und neue Fans für die klassische Musik zu gewinnen.

Wir haben Charlie Siem bei der Präsentation von Ralph Laurens Purple Label in Mailand getroffen und konnten mit ihm über moderne Autos, alte Geigen und den Zusammenhang zwischen Freiheit und Disziplin sprechen (bevor er in seinem orangefarbenen Porsche davonbrauste, um zuhause in Monaco im Kreis der Familie seinen 32. Geburtstag zu feiern).

Waren Sie schon einmal im Palazzo?
Nein, das ist das erste Mal – also für beides, dass ich die Kollektion von Purple Label sehe und im Palazzo bin, der wirklich wunderschön ist. Es ist eine wunderbare Kombination: das klassische Dekor von Ralph Lauren und der majestätische Mailänder Palazzo. Und die Kollektion natürlich auch, sie ist typisch Ralph Lauren: viele Military-Inspirationen und charakteristische Designs im Uniformstil. Eigentlich ganz mein persönlicher Stil.

Viele Menschen, die Schuluniformen tragen mussten, rebellieren später und werden zu wilden Dandys. Sie standen Uniformen aber immer positiv gegenüber.
Ja, genau. Die extravaganten Uniformen in Eton waren damals mit 13 schon sehr reizvoll für mich [Trauerkleidung, weiße Krawatte, Frack]. Die Geschichte besagt, dass wir um König George III. trauern. Ich mochte Uniformen schon immer. Auch heute noch.
                            Dieser Parkplatz ist für Porsche fahrende Geigenvirtuosen reserviert: Charlie Siems orangefarbener 911 GTS, am Palazzo Ralph Lauren in Mailand
Dieser Parkplatz ist für Porsche fahrende Geigenvirtuosen reserviert: Charlie Siems orangefarbener 911 GTS, am Palazzo Ralph Lauren in Mailand

Ist es nicht ein wenig wie das Zitat von Flaubert: Jemand, der im Leben den Regeln gehorcht, kann in seinem Schaffen originell und leidenschaftlich sein? Genau wie Einstein, der neun gleiche Anzüge in seinem Kleiderschrank hatte, damit er sich den Kopf nicht über sein Outfit zerbrechen musste und all seine Kreativität in die Forschung stecken konnte?
Ja. Gewissermaßen ist das, was man auf der Bühne trägt, auch Teil der Performance. Natürlich ist es eine sehr romantische Idee, sich in seinen Gefühlen zu verlieren und seine Emotionen mit Musik auszudrücken. Wenn man die Menschen aber wirklich erreichen möchte, braucht man Präzision. Ich mache mir viele Gedanken über meine Kleidung. Jedes Detail ist wichtig.

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir durch Disziplin zu Freiheit finden – und nicht durch die Abschaffung von Disziplin. Vielleicht gelingt es manchen Menschen, aber in meiner Erfahrung brauchen wir Disziplin, um Einzigartiges zu leisten.

In der klassischen Musik – und vor allem bei der klassischen Geige – gibt es eine so starke Tradition, ein so großes Erbe. Welche Rolle nehmen Sie als Glied in dieser Kette ein?
Sie haben vollkommen Recht, was Tradition und Erbe angeht. Die Geige ist – mehr als alles andere – eine Tradition. Sie wird von Lehrer zu Schüler weitergegeben. Auch die Geige, auf der ich spiele [eine 10 Millionen Dollar teure einzigartige Guarnerius namens „d’Egville“ aus dem 18. Jahrhundert], wurde schon von vielen großen Geigern vor mir gespielt. Ich kann eine direkte Linie ziehen zwischen meiner eigenen Interpretation des Violinkonzerts von Mendelssohn, das vor fast 200 Jahren geschrieben wurde, und all den anderen Interpretationen der vielen großartigen Geiger, die das Stück in den vergangenen zwei Jahrhunderten gespielt haben. Zeit wird da relativ. Teil dieser Tradition zu sein – das ist einer der Gründe, warum ich spiele.

Ich stelle mir vor, dass die Grenzen zwischen Moderne und Klassik verschwimmen, wenn man ein Instrument in der Hand hält, das über 200 Jahre alt ist. Es entsteht eine Vertrautheit mit der Person, die es geschaffen hat, und all dem, was bereits auf ihm gespielt wurde.
Es ist ganz komisch. Das Konzept der Zeit verliert in vielerlei Hinsicht an Bedeutung. Die Geige, auf der ich spiele, ist beinahe 300 Jahre alt. Sie wurde 1735 gefertigt. Die Musik, die damals komponiert wurde – noch vor Mozart, Bach starb nur 15 Jahre später – war unbeschwerte Tanzmusik für den barocken Hof. Und doch spielen wir darauf auch Brahms, eine schwere, drückende Musik, für die dieses Instrument nie gedacht war.

Ich möchte jetzt einen Sprung von der Violine zu Ihrem Auto machen, denn auch in Ralph Laurens privater Automobilsammlung nimmt der Porsche einen wichtigen Platz ein. Was hat Sie zu der Marke hingezogen?
Ich bin eigentlich über die Musik dazu gekommen: über den legendären Dirigenten der Berliner Philharmoniker Herbert von Karajan, eine Legende der Nachkriegszeit. Er war ein Unikat, sehr glamourös, ein ausgezeichneter Skifahrer und auch ein großartiger Autorennfahrer. Und er hatte eine ganz besondere Beziehung zu Porsche. Das Autohaus designte sogar ein Auto speziell für ihn: den von Karajan 911. Er kannte sich mit Mechanik aus und wusste genau, was er wollte, in Bezug auf Aufhängung etc. All diese technischen Dinge, von denen ich ehrlicherweise wenig verstehe. Er sagte der Werkstatt einfach, was er wollte, und alle paar Jahre bekam er einen neuen von Karajan 911.

Als ich diese Geschichte vor ein paar Jahren las, wollte ich unbedingt mehr darüber wissen. Mein Vater hatte damals auch einen 911 und ich hatte das Vergnügen, ihn ab und zu fahren zu dürfen. Ich ging also auf die Rennstrecke und ließ mir dort alles erklären. Ich bin wirklich kein Rennprofi, aber die Power und Präzision von Porsche faszinieren mich einfach. Also habe ich gespart, um mir meinen eigenen 911 GTS zu kaufen.

Es ist interessant, dass es immer wieder solche Universaltalente gibt, vor allem heute, wo wir alle zu Spezialisten ausgebildet werden. Sie haben gesagt, dass Sie sich schon früh zu Musik hingezogen fühlten, aber mir scheint, dass Sie auch viele andere Seiten haben. Ich habe eine Analogie, die ich gerne verwende: Talente sind wie die Saiten einer Gitarre – oder Geige. Je mehr Saiten die Geige hat, desto besser klingt jede einzelne.
In der Tat. Meine Familie ist überhaupt nicht musikalisch. Deshalb hatte ich eine recht breit gefächerte Ausbildung. Man muss einfach die eigene Balance finden. Als Geiger muss man in der Lage sein, sich stur auf eine Sache zu konzentrieren. Man kann sich nicht einfach auf die Bühne stellen und ein Violinkonzert von Tschaikowski spielen, ohne vorher viele Stunden alleine nur mit diesem Stück verbracht zu haben. Man braucht sehr viel Übung – sowohl physisch als auch psychisch –, um sich vor ein Orchester oder tausend Menschen zu stellen, und ein Stück gut zu spielen.

Wir haben bereits über Motorsport gesprochen und ich ziehe hier immer Parallelen zur Musik, weil ich mich damit auskenne. Auch hier hat man eine Situation, in der man hohem Druck ausgesetzt ist, und man muss an den Punkt kommen, an dem der Instinkt übernimmt. Zum Beispiel wenn man eine Kurve nimmt: Profis haben dieses Gefühl für Bremsen, Gas, Lenken usw., einen ganz eigenen Rhythmus. Das kann ich vom Geige spielen nachvollziehen.

Haben Sie Angst, dass Sie in den anderen Disziplinen, in die Sie sich immer mehr vorwagen, nicht das gleiche Maß an Perfektion erreichen wie mit der Geige?
Man darf nicht zu egoistisch sein, sonst schießt man sich selbst ins Bein. Das Leben verliert dann schnell seinen Geschmack. Man darf nichts persönlich nehmen – eine Lektion, die ich immer wieder lerne, wenn ich auf der Bühne stehe. Man muss die Vorsicht einfach in den Wind schlagen. Und ich glaube, das erstreckt sich auf alle Bereiche des Lebens. Man muss sich die Freiheit nehmen, neue Dinge zu lernen, ohne sofort alles perfekt machen zu wollen.

Beim Geige spielen gibt es immer Höhen und Tiefen. Man ist nicht immer an der Spitze und muss auch mit Rückschlägen klarkommen. Ich finde es sehr befreiend in anderen Aspekten meines Lebens, wenn mir bewusst wird: „Ich tue das nicht, um jemanden zu beeindrucken. Nicht einmal mich selbst. Ich mache das wegen der Erfahrung. Im Leben geht es darum, auch mal zu scheitern und sich davon nicht unterkriegen zu lassen.“ Das ist es, was man auf der Bühne immer wieder lernt. Die Bühne gleicht alles aus. Man weiß nicht, was passieren wird.
Chris Wallace ist Autor und Redakteur mit Wohnsitz in New York.
  • Mit freundlicher Genehmigung der Ralph Lauren Corporation
  • Fotos von Scott Rudin, mit freundlicher Genehmigung der Ralph Lauren Corporation