Living

Im ersten Essay seinen gleichnamigen Buches, das ursprünglich zum 40. Geburtstag von Polo erschien, beschrieb Ralph Lauren eine sehr persönliche Vision seines Lebens und all der Menschen, Orte und Dinge, die ihn bei seiner Arbeit inspiriert haben. Zum 50. Geburtstag der Marke erscheint nun eine aktualisierte und erweiterte Ausgabe des Buches. Aus diesem Anlass möchten wir einen Ausschnitt aus diesem Essay mit Ihnen teilen. Genau wie die Kleidung, die Ralph Lauren seit fünf Jahrzehnten designt, sind auch seine Worte sorgfältig gewählt und bestehen den Test der Zeit.

Ich bin in der Bronx aufgewachsen. Als Kind sah ich die Welt wie durch ein Fenster – nicht jenes, das auf den Schulhof ging, wo wir Basketball spielten, sondern ein Fenster zu meinen Träumen. Wie die meisten jungen Leute wusste ich nicht, ob ich meine Träume je erreichen würde. Meine Familie war nicht wohlhabend. Wenn man sich das Geld für ein Hemd oder eine Hose selbst verdienen muss, nimmt man nichts als selbstverständlich an.

Ich erinnere mich, dass ich auf meinem Schulweg jeden Tag an einem Schaufenster mit einem Paar blauer Wildlederschuhe vorbeikam. Ich liebte diese Schuhe. Ich wollte sie unbedingt haben, aber mir fehlte das Geld. Ich freute mich auf meinen Geburtstag, in der Hoffnung, die blauen Wildlederschuhe geschenkt zu bekommen. In gewisser Weise bin ich immer noch der Junge, der aufgeregt vor einem Schaufenster steht und sich nach Dingen sehnt, die außerhalb seiner Reichweite liegen. Nicht unbedingt blaue Wildlederschuhe, sondern etwas Schönes, Zeitloses, das einen in eine andere Welt entführt.

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Wenn ich ins Kino ging, öffnete sich mir ein Fenster in eine andere Welt, von der ich nie zu träumen gewagt hatte. Und ich tauchte einfach ein. Bei einem Western bestaunte ich nicht nur John Wayne auf der Leinwand, sondern ich selbst wurde zum Cowboy, zum Mann auf dem Pferd. Bei einem Baseballspiel war ich es, der einen Homerun machte. Der Ursprung meiner Designs liegt in Dingen, von denen Menschen träumen.

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                            Ralph und Andrew Lauren in Amagansett, New York, 1976
Ralph und Andrew Lauren in Amagansett, New York, 1976

Persönlicher Stil bedeutet, zu wissen, wer man ist; zu wissen, woran man glaubt. Es geht um das Selbstbewusstsein. Wenn ich das habe, kann ich alles tragen, was ich möchte, und mit meinem Stil etwas Persönliches über mich und meine Gefühle ausdrücken.

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Amerikaner geben sich gerne lässig und frei. Sie lieben Komfort und Zwanglosigkeit. In meiner Kindheit trugen die Menschen an Wochenenden genau das gleiche wie unter der Woche. Erst als sich der Lebensstandard verbesserte und die Menschen in die Vorstädte zogen und Grillfeiern im Garten machten – kurz: als sie mehr Freizeit hatten – stieg die Nachfrage nach komfortabler Kleidung. Ich entwarf also amerikanische Sportswear: Kleidung für jeden Tag, Kleidung für den Sport, Kleidung zum Leben – im Gegensatz zu Outfits für besondere Anlässe oder die Arbeit. Bei Sportswear geht es darum, das Leben zu genießen, und genau das spricht die Amerikaner an.

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Meine Vorstellung von Familie und Zuhause ist fest in meiner Kindheit verwurzelt. Ich wurde von zwei großartigen Eltern großgezogen, die ihre Kinder liebten. Wenn man mit Eltern aufwächst, die sich um ihre Kinder kümmern, färbt das auf einen ab. Meine Eltern, meine Brüder und meine Schwester haben mit ihrem Geschmack, ihren Launen und ihren Projekten mein Leben geformt und bereichert. Sie haben mich dazu inspiriert, mein berufliches und persönliches Leben um meine Familie herum aufzubauen. Mein Leben mit Ricky und unseren drei Kindern drehte sich um das Gemeinsame, um die Anteilnahme am Leben der anderen. Dieses Gefühl haben wir auch an die nächste Generation weitergegeben.

Kinder werden oft zum Ausdruck des eigenen Ichs, der eigenen Träume. Auch wenn meine Kinder jetzt erwachsen sind, werden sie für mich immer Kinder bleiben. In meiner Erinnerung werden sie nie älter.

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Widersprüche und das Unerwartete haben mir immer gefallen. Als Ricky und ich zu den ersten formellen Events eingeladen wurden, fühlte ich mich im Smoking immer unwohl. Ich hatte das Gefühl, meine Identität verloren zu haben. Also trug ich Jeans und Stiefel zu einer Smokingjacke oder ein Westernhemd und eine Cowboykrawatte. Als Ricky eine weiße Krawatte mit Frack trug, ihre Haare offen, kaum Make-up … in dem Moment war sie für mich immer noch das natürliche Mädchen im Overall, aber mit dem gewissen Etwas. Über die Jahre habe ich verschiedenste Abendlooks für Damen entworfen: mit Jeans, mit Leggings, mit kurzen oder langen Röcken, mit nietenbesetzter Bikerjacke oder Baskenmütze. Für mich war eine Frau im Smoking schon immer verführerischer als im Abendkleid.

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Noch bevor ich ein Haus im Westen erwarb, hatte ich mein Herz daran verloren. Ein Freund schenkte mir einen alten Cowboyhut – das war mein erster Vorgeschmack auf den Traum vom Wilden Westen. Als ich jung war, mochte ich adrette Kleidung. Aber plötzlich war ich von neuen Traditionen fasziniert, den Traditionen des Westens mit Jeans und Cowboystiefeln. Beide Looks waren typisch amerikanisch, aber der Western-Stil war irgendwie unverfälschter.

                            Ralph, Ricky, David und Dylan Lauren in New York City, 1977
Ralph, Ricky, David und Dylan Lauren in New York City, 1977

Ich war in meinem Umfeld stets auf der Suche nach Inspirationen. Der Cowboy war für mich eine Art Rebell. Damit konnte ich mich identifizieren. Schließlich ließen wir uns in Colorado auf einer Ranch nieder. Der Traum wurde Wirklichkeit. Ich war der Cowboy. Ich war inspiriert von der Landschaft, den Pferden, den Bergen, den Blockhütten, der frischen Luft – dem freien Leben.

Ich schickte meine Models in eingetragenen Cowboyhüten und -stiefeln mit Leder-Chaps und Revolvern über den Laufsteg. Vom typisch amerikanischen Countrylook ging ich in den Wilden Westen über. Auf dem Weg entdeckte ich Amerika für mich selbst auf meine ganz eigene Art und Weise.

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Ich liebe Orte und Dinge, die uns verändern, die uns die Welt um uns herum vergessen lassen, und sei es nur für einen Tag, einen Abend oder einen Augenblick. Ich liebe die Romantik von Filmen, Autos, den Songtexten von Cole Porter und Frank Sinatra. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie sind zeitlos und unvergänglich.

  • Foto Von Susan Wood mit freundlicher Genehmigung der Ralph Lauren Corporation
  • Foto Von Barbara Walz mit freundlicher Genehmigung der Ralph Lauren Corporation