Sein
Augapfel

Mit seinem neuen Buch fängt der renommierte Fotograf Miguel Flores-Vianna die Welt auf seinem iPhone ein

Erst als Miguel Flores-Vianna bereits auf seinem dritten Kontinent lebte, entstand sein neues Buch A Wandering Eye: Travels With My iPhone (Ein wanderndes Auge: Reisen mit meinem iPhone). Der in Argentinien geborene und nach eigenen Worten in den USA beruflich geformte Fotograf sagt, dass alles mit einem Tagebuch anfing, das er bei seinem Aufenthalt in West Sussex, England zu führen begann. Nach jahrelanger Tätigkeit bei Zeitschriften (u.a. bei Town & Country, Elle Decor, und Cabana, für welche er 2018 Ralph Laurens Haus in Bedford und die Double RL Ranch aufnahm) nahm er sich eine Sabbatical-Auszeit. Sein Plan war, jeden Tag zwei oder drei Fotos zu machen, sie in das Tagebuch zu kleben und etwas darüber zu schreiben. Als das Projekt zu einem Instagram-Feed wurde (@miguelfloresvianna), schlug sein Partner Patrick Legant vor, vielleicht ein Buch daraus zu machen.

Der immersive, skurrile und mit persönlichen Leckerbissen aus aller Welt gefüllte Band enthält Aufnahmen von versteckten Orten, die von den Kanarischen Inseln bis nach Marrakesch, Griechenland, Ägypten und darüber hinaus reichen. „Er steht für meine zwei Leidenschaften: auf der einen Seite Inneneinrichtung und Architektur, auf der anderen Seite Reisen“, sagt er. „Ich bin fest davon überzeugt, dass Reisen das Leben bereichert.“ Getreu seinem Titel wurden alle Bilder mit seinem vertrauten iPhone aufgenommen – eine Herausforderung für die Veröffentlichung, die jedoch durch eine wichtige Entscheidung erleichtert wurde, die Flores-Vianna schon früh im Prozess traf. „Wir haben uns aus zwei Gründen dazu entschlossen, das Format des Buches kleiner zu halten“, sagt er. „Ein Grund war technischer Art. Wir dachten, dass insbesondere die ersten Bilder, die mit einem iPhone 5 oder 6 aufgenommen wurden, körniger und weniger perfekt waren als die, die ich mit dem iPhone X gemacht habe.“ Und er fügt hinzu: „Uns gefiel auch die Idee eines kleineren Buches, das man in die Tasche stecken und mitnehmen könnte, ohne das Gefühl zu haben, Gewichte heben zu müssen.“

Das Endergebnis ist aufschlussreich, oft sogar verblüffend. Und getreu der Worte des Fotografen ist es ein idealer Reisebegleiter, der in jedes Handgepäck passt. Nachstehend führt uns Flores-Vianna durch die Geschichten hinter acht seiner Lieblingsfotos.

Eines der seltenen Selfies, aufgenommen bei <a href="http://www.hodsoll.com/" target="_blank">Christopher Hodsoll Antiques & Interiors in London</a>
Eines der seltenen Selfies, aufgenommen bei Christopher Hodsoll Antiques & Interiors in London

1

Vor Instagram

Mein Fototagebuch aus dem Jahr 2012

London, England

„Da ich zwei oder drei Fotos auf jeder Seite einklebte, wurde das Tagebuch zu diesem immensen, konzeptionslosen, dicken Wälzer. Wenn ich also Aufnahmen davon machen wollte, fand ich nur wenige Seiten, die flach lagen. Und diese hier war die, die wirklich flach war. Mir gefällt, dass ich aufschrieb, wie meine Tage verliefen. Ich hatte echt überhaupt keine Pläne – das war das Schöne an der Sabbatical-Zeit. Besonders im ersten Jahr – kein Auto, kein WLAN, kein Handy. Alles ging nur darum, aufzuwachen und zu sehen, wie das Wetter war. Das Buch, das ich auf dieser Seite erwähne, handelt von einem Maler namens Johan Zoffany. Ich war in der Royal Academy gewesen und hatte mir eine Ausstellung seiner unglaublichen Bilder von Indien angesehen.“

2

Schmuckdose

Miniaturen-Kollektion, Real Academia de Bellas Artes de San Fernando

Madrid, Spanien

„In Madrid gibt es diese unglaublichen, berühmten Museen – natürlich den Prado, die Reina Sofía, die Thyssen-Bornemisza. Diese hier ist jedoch eine eher kleine Sammlung mit erstaunlichen Stücken, und wenn man hingeht, ist niemand da, weil sie nur sehr wenige Leute kennen. Man findet sich dort in komplett leeren Räumen wieder. Diese Kollektion von Miniaturen aus dem 18. Jahrhundert stammt, wenn ich mich recht erinnere, von einem der früheren spanischen Könige. Ich glaube, das Bild ist ziemlich wirkungsvoll. Auf der einen Seite ist es schlicht – lediglich ein paar Ovale, aber die Kunstfertigkeit und die Tatsache, dass alles rot ist, außer dieser einen, weißen Miniatur, ist etwas, was wirklich Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ich liebe Nahaufnahmen und diese hier liebe ich ganz besonders.“

3

Der Fossilsammler

Auf dem Weg nach Tin Mal, Marokko

8. August 2016

„Ich bin fasziniert von Fossilen und Steinen und solchen Dingen. Dieser Ort befindet sich in der Mitte zwischen Marrakesch und Tin Mal. Es war im Grunde eine Hütte an der Straße, die mit einer unglaublichen Sammlung von Steinen gefüllt war. Der Mann, dem sie gehört, findet sie in den umliegenden Bergen. Besonders rührend war, dass ich ihn immer wieder bat, den Namen des Geschäfts für mich aufzuschreiben. Er begann sich aufzuregen und der Fahrer zog mich zur Seite und sagte zu mir: „Wissen Sie, er kann nicht schreiben, also schreibe ich es für Sie auf.“ Da war also dieser fantastische Kerl, der nicht schreiben konnte, und doch dieses unglaubliche Auge für Steine und das Wissen über sie hatte.“

4

Schnörkel

Schloss Sanssouci, Potsdam, Deutschland

„Sanssouci ist ein Schloss, das vom Preußenkönig Friedrich dem Großen erbaut wurde. Friedrich erbte die Krone und er hasste Berlin, also baut er sich diesen Palast etwa 20 km außerhalb Berlins, wo er im Grunde genommen versucht, Italien neu zu erschaffen – was in Nordeuropa nicht einfach ist! Er war Architekt, Philosoph, König, General, Bauer – von allem etwas. Er erschuf dieses riesige Gelände mit vielen Schlössern und riesigen Parks und all das in der Stadt Potsdam, wo er sein ganzes Leben als König verbrachte. Aber in Sanssouci, diesem kleineren einstöckigen Schloss, verbrachte er seinen Alltag. Mein Partner stammt aus Deutschland und in den drei Jahren, in denen ich auf dem Land in England lebte, wohnte er in Berlin. Und ich bin genau wie Friedrich nicht so begeistert von Berlin. Und – genau wie Friedrich – bin ich nach Potsdam geflohen, um mir vorzustellen, dass ich woanders wäre.“

5

Ibn Tulun, Kairos älteste Moschee

Kairo, Ägypten

„In Kairo war ich wegen eines Cabana-Portfolios und die größte Entdeckung für mich war die mittelalterliche islamische Architektur. Kairo hat eine beeindruckende Reihe von Meisterwerken zu bieten. Ibn Tulun war ein türkischer Gouverneur von Kairo, der im 9. Jahrhundert dort lebte und diese Moschee erbaute. Ich finde sie wunderschön. Es handelt sich um eine sehr schlichte Architektur. Es gibt kein großes Dekor, nur rohe Steine, denen die unglaublichsten Formen verliehen wurden. Ich weiß nur sehr wenig über diesen Mann und die Merkmale der mittelalterlichen islamischen Architektur. Ich habe aus einem Bauchgefühl heraus darauf reagiert.“

6

Kakteen

Hydra, Griechenland

„Ich verbringe jeden August in Hydra. Sie ist keine dieser weißen Inseln. Sie verfügt über eine eher venezianische Architektur, denn sie war das Zentrum des Bootsbaus im späten 18. und 19. Jahrhundert. Ich weiß nicht, wem diese Kirche gehört oder welchem Heiligen sie gewidmet ist. Aber ich komme immer daran vorbei, weil sie buchstäblich um die Ecke von meinem Haus liegt und ich war schon immer von den ganzen Kakteen begeistert. Der 15. August ist das Fest der Jungfrau Maria und auf der ganzen Insel wird groß gefeiert. Die ganze Stadt nimmt daran teil und das ist der einzige Zeitpunkt, zu dem all die privaten Kirchen geöffnet sind. Aber aus irgendeinem Grund ist diese niemals geöffnet, daher war ich noch nie drin. Ich kenne noch nicht mal ihren Namen.“

7

Saint Firmin Kirche

Gordes, Luberon, Frankreich

„Ich habe das Wochenende bei der Möbeldesignerin Rose Tarlow verbracht, die ein atemberaubendes Haus in Südfrankreich besitzt. Auf dem Rückweg hielt ich in einer Stadt namens Gordes an. Sie ist wunderschön und voller Touristen. Es waren so viele Touristen dort, dass ich in der ersten Kirche, die ich fand, Zuflucht suchte. Und sie war ganz fantastisch. Ich bin eine halbe Stunde nur darin herumgewandert und habe Fotos gemacht. Ich habe mich letztendlich für dieses Foto entschieden, das besonders eindrucksvoll ist, weil ich so nah am Altar war. Wenn Sie jemals in Gordes sind und an den vielen Menschen um Sie herum, die Eis essen und T-Shirts kaufen, verzweifeln, dann gehen Sie einfach in diese Kirche. Sie werden bestätigen, dass sie einen Besuch wert ist.[Lacht.]“

8

Brett

Las Dunas, Gran Canaria, Spanien

„Dieses Foto wurde auf der Insel Gran Canaria in den Kanarischen Inseln aufgenommen. Die Insel ist voller ganz unglaublicher Landschaften. Manchmal fühlt sie sich sozusagen etwas prähistorisch an, weil dort noch viele seltsame Pflanzen gedeihen. Und es gibt dort jede Menge Mikroklimas – so gibt es z. B. zweimal Frühling. Dieses Bild wurde im Januar – während des ersten Frühlings – aufgenommen. Geografisch gehört Gran Canaria ja nicht zu Europa, sondern zu Afrika. Und es war das letzte Stückchen Land, an dem jeder Seefahrer bzw. jedes Boot, das nach Amerika, nach Mittelamerika, in die Karibik oder nach Südamerika fuhr, vor der Überfahrt vorbeikam. Man hielt hier an und besorgte sich die letzten fehlenden Vorräte für die Überfahrt. Und es war das erste Stückchen Land, das sie normalerweise auf dem Rückweg berührten. Ich hoffe, dass ich irgendwann in der Zukunft dorthin zurückkehren kann.“

Paul L. Underwood war früher als Redakteur bei Ralph Lauren tätig. Er lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Austin, Texas.
  • Alle Bilder mit freundlicher Genehmigung von Miguel Flores-Vianna und Vendome Press