RL – Fragen und Antworten: Justin Jay

Der Fotograf und Surf-Aficionado zu seinem Buch, in dem er die North Shore von Hawaii in 1000 Bildern festgehalten hat

In den letzten zehn Jahren verbrachte der Fotograf Justin Jay den Monat Dezember regelmäßig an der North Shore von Hawaii, um mit seiner Kamera Momentaufnahmen der dortigen Surfkultur einzufangen. Daraus entstand das Buch „HI 1K - 10 Years / 1000 Moments on Hawaii’s North Shore“, eine Sammlung von 1000 Bildern, mit der er die Magie – und die Community – dieser berühmten Surflokalität dokumentiert. Hier teilt Jay einige seiner schönsten Erinnerungen mit uns und gibt Hintergrundinformationen zum Buch.

Erzählen Sie mir ein wenig über das Konzept hinter HI 1K. Was hat Sie dazu inspiriert?

Ich fand Surfing schon als Kind toll. Ich bin in Santa Barbara in Kalifornien aufgewachsen, und die klassischen Bilder und Geschichten über die Pipeline und Waimea begeisterten mich bereits damals. Mit meiner Familie war ich einige Male in den Ferien auf Hawaii, aber nicht an der North Shore. 2008 hatte ich die Idee für ein Fotoprojekt auf Hawaii: Ich wollte die dortige Surfkultur fotografisch festhalten. Im Gegensatz zur Arbeit mit traditionellen Portraits habe ich mich im Laufe meiner Karriere als Fotograf in New York City immer darum bemüht, meine Umgebung in einer Weise abzubilden, bei der mehrere Tage zu einer Bildstrecke komprimiert werden, in der die Zeit still steht und die eine bestimmte Geschichte erzählt. Mit dieser Einstellung wollte ich die North Shore und ihre Surfkultur in einer Weise einfangen, die es meiner Meinung nach bisher noch nicht gab. Ich wollte über all das berichten, was vor und nach dem Einreihen der Surfer in die Schlange zum Wellenreiten stattfindet. Fotos vom tatsächlichen Surfen waren hingegen nicht mein Ziel. Ich entschied mich ganz bewusst gegen einen Fokus auf Action-Aufnahmen und Meeresfotos. Denn diesen Bereich decken äußerst talentierte Fotografen bereits umfassend ab, und ich hatte nicht das Gefühl, dass ich zu diesem Genre noch viel beitragen könnte. In der Hoffnung auf Gelegenheiten für authentische Momentaufnahmen konzentrierte ich mich stattdessen darauf, Beziehungen aufzubauen und einige der wichtigen Akteure der North-Shore-Szene kennenzulernen. Ich bin großer Fan von Rock-Fotografen wie Jim Marshal und Bob Gruen. Bobs klassische Backstage-Fotos von den Sex Pistols und Led Zeppelin aus den 1970er-Jahren sollten mir als Vorlage für meine Schnappschüsse und damit zum Einfangen legendärer Momente im Leben der Surfer an der North Shore dienen.

Der Buchtitel ist ungewöhnlich. Können Sie ihn uns erklären?

Ich suchte nach einem Titel, der sowohl den Rahmen als auch das Konzept des Projekts erfasst. Mir gefiel schon immer, dass Hawaii schlicht und einfach als „HI“ abgekürzt wird. Das macht nicht nur grafisch etwas her, sondern ist auch ein dezenter Hinweis auf ein freundliches „Hallo“ oder „Aloha“. Außerdem wollte ich deutlich machen, dass das Buch 1000 Fotos enthält. Auf der anderen Seite sollte es aber kein langer, schwer zu merkender Titel sein. Als die Designer mir das „HI 1K“-Logo zeigten, hatte ich gleich das Gefühl, dass das genau passte. Lange waren wir mit der Suche nach dem richtigen Bild für die Umschlagrückseite beschäftigt, bis ich über einen wundervollen Ausspruch des legendären hawaiianischen Wassersportlers Mark Cunningham stolperte. Seine Beschreibung bringt die North Shore so schön treffend auf den Punkt, dass wir uns dafür entschieden, diesen Satz anstelle eines Fotos auf die Rückseite zu drucken: “Everyone thinks of the North Shore as surf, surf, surf, but there’s a whole wonderful community that sends their kids across the street to Sunset Beach Elementary School, and there are births and deaths and marriages and divorces.” („Alle denken bei der North Shore nur an Surfen, Surfen, Surfen. Tatsächlich lebt hier eine wundervolle Gemeinschaft, deren Kinder in die Sunset Beach Elementary School auf der anderen Straßenseite gehen. Und wie überall sonst, werden auch hier Menschen geboren, sterben Menschen, heiraten und lassen sich scheiden.“)

Haben Sie im Buch ein Lieblingsfoto? Und wenn ja, welches? Und warum?

Die Fotos dieses Projekts, die mir persönlich am meisten bedeuten, sind Bilder von Menschen, die heute nicht mehr unter uns weilen. Während der Aufnahmen für dieses Buch, starben viele herausragende Persönlichkeiten der North Shore. Ich hatte das Glück, einige Zeit Andy Irons, Buttons Kaluhiokalani, Jay Adams, Brock Little, Derek Ho, Joe Quigg und viele andere legendäre Surfer fotografieren zu dürfen, die inzwischen verstorben sind. Gerade diese Aufnahmen liegen mir sehr am Herzen, und ich bin so dankbar dafür, dass ich die Gelegenheit hatte, ihr Vermächtnis ein Stück weit festzuhalten. Als ich bei der Überarbeitung meines Buches mein Archiv durchsah, fand ich ein Foto, das ich vollkommen vergessen hatte. Es war ein Bild von Sion Milosky. Sion zählte zu den angesehensten Big-Wave-Chargern der North Shore. Ich hatte den Augenblick festgehalten, in dem er mit meinem Freund Aaron Checkwood auf dessen Kamera ein Foto betrachtete, dass dieser kurz zuvor von Sion beim Surfen einer der größten Wellen des Winters geschossen hatte. Im Monat darauf war es das Titelbild von Transworld Surf. Und nur 90 Tage später ertrank Sion bei seiner Lieblingsbeschäftigung – dem Wellenreiten auf den gefährlichsten Wellen unseres Planeten.

Ich schätze auch die Bilder, bei denen es mir gelang, einen unbeobachteten, emotionalen Augenblick für eine andere Person einzufangen. Zum Beispiel machte ich Strandbilder von Mick Fanning, als er auf eine Bewertung wartete, die über den Weltmeistertitel 2013 entscheiden würde. In einem Meer von Menschen, die bis zur Hüfte im Wasser standen, versuchte er angestrengt, den Ansager zu hören. Als er die Punktzahl erhielt, die er für den Titel brauchte, sah ich ihn in einem kurzen, emotionalen und sehr privaten Moment zusammenknicken. Dann nahm er einen tiefen Atemzug, fasste sich, und sein ganzes Gesicht verwandelte sich in den reinsten Begeisterungsausbruch, den ich je fotografiert habe. Das alles geschah im Bruchteil einer Sekunde, doch in meinem Archiv ist dieses Geschehen jetzt für die Ewigkeit bewahrt. Das war ein wirklich bewegender Moment, den ich erleben und festhalten durfte.

Was finden Sie an der North Shore so inspirierend? Erzählen Sie mir ein bisschen über die Gemeinschaft dort und die Beziehungen der Menschen untereinander.

Jeden Winter sammelt sich die globale Surf-Community an der North Shore. Und dem Hype, der Geschichte, den Touristen und der Berichterstattung zum Trotz hat dieser Ort tatsächlich immer noch etwas ganz Besonderes – etwas, das zum großen Teil für die Allgemeinheit unsichtbar ist. An der North Shore gibt es einige der legendärsten Wellen der Welt. An diesem Ort werden Helden gemacht, und hier sterben regelmäßig Menschen. Man sollte jedoch nicht erwarten, dass man einfach mit Sonnencreme und Kamera bewaffnet aus dem Bus steigt und einem das wahre Ambiente der North Shore zu Füßen liegt. Die richtige Action findet meist abseits der breiten Öffentlichkeit statt. Ein wirklich spezieller Ort für Aufnahmen, denn der „Backstage-Bereich“ fehlt komplett. Stattdessen gibt es über die Länge des Strandes verteilt ungefähr 15 Team-Häuser. An diesem weniger als einen Kilometer langen Strandabschnitt trifft sich mehr oder weniger die gesamte Surf-Community. Hier hängt die Szene auf ihren Rasenstücken und Terrassen ab. Weder muskelbepackte Türsteher schützen die Hauseingänge, noch finden sich samtene Absperrkordeln. Niemand läuft mit einem Pass um den Hals herum. Eintritt erhält man ausschließlich über Beziehungen und Respekt. Der Einzelne spürt sofort, ob er in diesen Häusern willkommen ist. Wenn nicht, findet er es schnell heraus. Ich hatte das große Glück, dass mich Bekannte ein paar der Hauptakteure vorstellten und sich mir so die eine oder andere Tür öffnete. Jedes Jahr kam ich mit einem kleinen Kästchen mit signierten Abzügen im Format 12x18 unter dem Arm zurück, die ich den Leuten schenkte, von denen ich im Vorjahr Fotos gemacht hatte. Das war meine Art, ihnen Respekt zu zeigen und meine Wertschätzung für die Teilhabe an ihrer Gemeinschaft auszudrücken. Wenn ich bei einem Team-Haus auftauchte, gab ich den Leuten dort als Erstes etwas, anstatt etwas von ihnen zu erbitten. Das hat mir viel Wohlwollen an der North Shore eingebracht und mir ermöglicht, einige einzigartige Momentaufnahmen zu schießen.

Und wie ging es mit dem Auswählen der Bilder? War es nicht eine Herausforderung, die Sammlung am Ende auf nur 1000 Bilder zu beschränken?

Das Auswählen und Sortieren der Bilder nach zehn Jahren Fotografieren an der North Shore kam tatsächlich einer Mammutaufgabe gleich. Zum Glück hatte ich jedes Jahr schon die besten Aufnahmen bearbeitet, und so wusste ich ziemlich genau, welche Fotos ich zeigen wollte. Die wirkliche Herausforderung lag dann darin, herauszufinden, wie man 1000 Bilder sortiert und präsentiert, damit das Buch am Ende Hand und Fuß hat. Erst als wir Überschriften für die Kapitel festgelegt hatten, konnte ich richtig mit der Suche nach Fotos beginnen, die zusammenpassten. Fotos, die vielleicht über mehrere Jahre verteilt aufgenommen worden waren. Denn ich fand es faszinierend, die gleichen Szenen Jahr für Jahr erneut festzuhalten. Nun fielen mir plötzlich Gruppen von Bildern ins Auge, die zum Beispiel die Intensität des Wettbewerbs darstellten, das eingeschworene Gemeinschaftsgefühl, den Gedanken von beschränktem Zutritt oder typisch hawaiianische Details wie Stapel von kaputten Brettern oder Schuhberge vor den Haustüren. Bei einigen Seiten wusste ich genau, wie das Layout aussehen sollte. Aber auch die Buchgestalter waren ungeheuer gut darin, Bilder herauszupicken, die sich gegenseitig wunderbar ergänzten oder sich hervorragend für Montagen oder Bildstrecken eigneten. Die Relation der Bilder untereinander war auf einer Seite manchmal genauso entscheidend wie die Aussage der einzelnen Fotos.

Was verbindet Sie mit Ralph Lauren?

Vor einigen Jahren erhielt ich den Auftrag, die Familie Lauren in Montauk für die Titelseite einer Zeitschrift zu fotografieren. Meine Frau ist Visagistin, und sie arbeitet schon viele Jahre lang mit Lauren Busch Lauren zusammen. Da unsere Söhne ungefähr gleichaltrig sind, schlug Lauren vor, dass wir alle den Tag zusammen verbringen und eine Art Familientreffen daraus machen könnten. Mir gefällt es, wenn die Atmosphäre bei meinen Shootings entspannt ist. Denn die lockere Stimmung überträgt sich mit ein wenig Glück auf die Bilder, die spontaner und ungestellter wirken. Montauk war das perfekte Setting für die Aufnahmen. Es war einfach grandios, Portraits der Familie Lauren am Strand zu schießen, wo unsere Kinder zwischen den Aufnahmen zusammen herumtollten. David und Lauren wählten am Ende einige der Bilder für die Weihnachtskarte ihrer Familie aus.

Was bedeutet die Surfmode für Sie? Und inwiefern hat Ralph Lauren Ihrer Meinung nach dazu inspiriert?

Die Surfmode gehört seit Ende der 1950er-Jahre zur amerikanischen Kultur, als Surfen zum angesagten Zeitvertreib wurde. Das Ironische an der Surfmode ist, dass man während des eigentlichen Wellenreitens im Gegensatz zu Skateboarding oder Snowboarding, eigentlich nicht gerade viel am Leib hat und sich nicht wirklich in einem bestimmten Stil kleiden kann – im Allgemeinen trägt man nicht mehr als Boardshorts oder einen Neoprenanzug. Wie aber jeder Surfer weiß, ist die Zeit, die man tatsächlich in und auf den Wellen verbringt, relativ kurz, verglichen mit den ganzen Aktivitäten, die sonst so zum Surfer-Lifestyle gehören: Reisen, Planen, Warten auf die richtigen Bedingungen, Erkunden von Lokalitäten, Umziehen auf Parkplätzen, Neuigkeiten zum letzten Ritt austauschen und was nicht noch alles. Die Begeisterung für diese einmalige, gemeinsame Erfahrung, die Aufregung der Suche und die Verbindung zum Meer – das sind die Dinge, die den Surfer-Lifestyle wirklich ausmachen und die Mode, die er inspiriert hat. Die Marke Ralph Lauren vermittelt seit Jahrzehnten viele der gleichen Ideale, wie Individualismus, Begeisterung für die Natur oder zeitlosen amerikanischen Stil.


„HI 1K - 10 Years / 1000 Moments on Hawaii’s North Shore“ ist über die Website Hi1K.com erhältlich.

Justin Jay mit seinem Sohn
Justin Jay mit seinem Sohn
Yale Breslin ist als Creative Consultant tätig und lebt in New York. Seine Artikel sind unter anderem in Architectural Digest, WSJ, GQ und anderen Publikationen erschienen.
  • Mit freundlicher Genehmigung von Justin Jay