Insider-Reiseratgeber: The Huntington Library, Art Museum, and Botanical Gardens

Das weitläufige Anwesen im kalifornischen San Marino beherbergt eine unvergleichliche Sammlung von Kunst, Literatur und botanischen Wundern – und ist die Location für Ralph Laurens erste Modenschau an der amerikanischen Westküste

Eine Rose namens „Miss Congeniality” mit weißen und rosa Rändern. Von Angesicht zu Angesicht mit The Blue Boy– einem Portrait des englischen Künstlers Thomas Gainsborough aus dem 18. Jahrhundert, das einen Jugendlichen in einem modischen Outfit zeigt und das einst als eines der berühmtesten Gemälde der Welt galt. Ein Blick in das Ellesmere-Manuskript, eine handgeschriebene Version aus dem 15. Jahrhundert von Chaucers The Canterbury Tales – eine der ersten Transkriptionen dieses mittelenglischen Meisterwerks. Ein friedvoller, erholsamer Moment im Schatten einer Pagode am Koi-Teich im Chinesischen Garten.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, das Huntington zu erleben – egal, ob Sie sich für eine der drei Hauptattraktionen (Kunst, Pflanzen oder Bücher und Manuskripte) interessieren oder einfach nur über das weitläufige, geschützte Gelände spazieren und innere Ruhe finden möchten.

The Huntington Library, Art Museum, and Botanical Gardens – wie es mit vollem Namen heißt – wurde 1919 gegründet und befindet sich in San Marino. Das 84 Hektar große Anwesen beherbergt 8,8 Millionen Handschriften, 42.000 Kunstwerke und 16.000 verschiedene Pflanzenarten. Als der Eisenbahnmagnat Collis P. Huntington im Jahr 1900 starb, hinterließ er seiner Witwe Arabella Huntington und seinem Lieblingsneffen Henry E. Huntington ein beträchtliches Vermögen. Henry kaufte 1903 das Land, auf dem das Museum heute steht, und baute eine Villa. Außerdem blieb er mit Arabella in Kontakt, die nun Kunst, Schmuck, Mode und Möbel sammelte. 

Während Arabella in Paris ihre Sammlung erweiterte, vermehrte Henry sein unermessliches Vermögen mit Immobilien- und Eisenbahnprojekten. Mit Hilfe von William Hertrich, einem renommierten Landschaftsarchitekten and Gartenbauingenieur, begann er mit der Gestaltung der Gärten. Außerdem fing er an, unermüdlich Bücher zu sammeln. Er erwarb ganze Sammlungen und sogar das seinerzeit teuerste Buch, das jemals gekauft wurde: eine Gutenberg-Bibel, die bis heute eine der Hauptattraktionen der Bibliothek ist. In ihrer fortwährenden Korrespondenz ermunterte Arabella Henry zum Sammeln von Kunst, und so fing er an, außergewöhnliche europäische Gemälde aufzukaufen.

Durch eine Fügung des Schicksals heirateten Henry und Arabella 1913 und führten ihr Vermögen und ihre Sammlungen zusammen. 1919 wurde das Anwesen als Forschungs- und Bildungseinrichtung gestiftet, die nach dem Tod der Beiden für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollte. Arabella starb 1924, Henry drei Jahre später, und ein Jahr später wurde The Huntington eröffnet. Heute gehen jedes Jahr mehr als 800.000 Menschen über das Gelände, wobei jeder es auf seine ganz eigene Art und Weise erlebt.

Die Bibliothek

Die Bibliothek beherbergt Millionen von Handschriften sowie Hunderttausende von Büchern, Drucken und Skizzen, Fotografien und digitalen Dateien und ist eine wahre Fundgrube des geschriebenen Wortes. Im Ausstellungsraum finden sich Highlights wie The Canterbury Tales und eine der 12 erhaltenen Pergamentkopien der Gutenberg-Bibel aus den 1450er-Jahren sowie andere Raritäten aus dem amerikanischen Westen und Manuskripte von Autoren wie William Blake, Henry David Thoreau und Jack London. Und Sie sollten auf keinen Fall die handgemalten Seiten aus John James Audubons klassischem Buch der Vogelbestimmung, Birds of America, verpassen. 

<em>The Canterbury Tales</em> von Geoffrey Chaucer, um 1400
The Canterbury Tales von Geoffrey Chaucer, um 1400

Die Bibliothek ist außerdem Gastgeberin für Wissenschaftler und Stipendiaten. Caitlin Hartigan, die 2014–15 Stipendiatin am Huntington war, hatte Zugang zu Magazinen, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind. „Während meines Stipendiums erforschte ich den mittelalterlichen ‚Bestseller‘, den Rosenroman”, sagte sie. „Einige der Werke, die ich studierte – wie exquisite, detailreiche, illuminierte Handschriften und frühe Buchdrucke mit faszinierenden Randnotizen –, verzauberten mich richtiggehend. Ein paar Bücher waren kleiner als meine Handfläche.”

Die Gutenbergbibel, um 1455
Die Gutenbergbibel, um 1455

Insider-Tipp: Lassen Sie sich auf keinen Fall den handgetippten Entwurf (mit Notizen) von Octavia E. Butlers Die Parabel vom Sämann entgehen – ein Science-Fiction-Klassiker der in Pasadena geborenen Romanautorin, die dem Huntington nach ihrem Tod im Jahr 2006 ihre Papiere und Notizen hinterließ. „Sie war eine Pionierin, eine meisterhafte Geschichtenerzählerin, die der Science-Fiction ihre Stimme – die Stimme einer Woman of Color – gab”, sagte Natalie Russell, die ehemalige Kurationsassistentin für literarische Manuskripte am Huntington, 2017. „Weil sie der Geschichten mit weißen, männlichen Helden leid war, entwickelte sie ein alternatives Narrativ aus einem sehr persönlichen Blickwinkel.”

Die Botanischen Gärten

Die facettenreichen botanischen Gärten sind zweifelsohne eines der weltweit besten Erlebnisse im Bereich der Botanik. Das Gelände ist in mehrere große Bereiche unterteilt – den Japanischen Garten, den Chinesischen Garten, den Subtropischen Garten, den Dschungel-Garten, den Australischen Garten, den Shakespeare-Garten, den Wüsten-Garden etc. – und Besucher können den ganzen Tag damit verbringen, umherzustreifen. Die meisten Pflanzen sind mit Plaketten versehen, die Aufschluss darüber geben, welche der unzähligen Arten der Pflanzenwelt man gerade betrachtet.

Der Chinesische Garten, der auch „Garten des fließenden Duftes” genannt wird, beherbergt einen 0,6 Hektar großen See mit lebhaften Koi-Karpfen, ein Teehaus und sogar einen Wasserfall, während im Zen-Garten des Japanischen Gartens spektakuläre Bonsai-Anpflanzungen und ein plätschernder Fluss darauf warten, entdeckt zu werden. Der unübertreffbare Wüsten-Garten sei einer der Besten der Welt, sagt Nicole Cavender, die Telleen/Jorgenson-Direktorin der Botanischen Gärten. „Die Sukkulenten-Sammlung im Wüsten-Garten ist wahrscheinlich unsere größte Kernkollektion”, erklärt Cavender. „Ein absolutes Muss für Pflanzenliebhaber und Menschen, die sich für Pflanzenvielfalt interessieren. Wir haben eine der größten Wüstensammlungen – Tausende von Arten aus der Kaktusfamilie und anderen Pflanzenfamilien, denen Trockenheit nichts ausmacht. Ich nenne es den ‚Internationalen Kongress der Wüstenpflanzen‘.”

Die Gärten tragen auch zur Erhaltung bei – The Huntington hat eine umfangreiche Samenbank und tauscht Samen mit anderen botanischen Gärten auf der ganzen Welt. „Wir haben exotische Pflanzen aus der ganzen Welt”, sagt Cavender. „Dies soll die unglaubliche Pflanzenvielfalt, die wir auf der Erde haben, veranschaulichen und dazu beitragen, sie zu schützen. Wie schützt man diese Pflanzen? Nun, zuallererst muss man sie verstehen. Deshalb haben wir einen großartigen Ort, diese Pflanzen zu untersuchen, zu beobachten und wirklich zu verstehen. Wir betreiben Austausch und Erhaltungsgartenbau, das heißt, wir erforschen, wie man eine Pflanze vermehrt und wie man sie in einer lebenden Bank oder in einer Samenbank schützt. Im Idealfall würden wir einige dieser Pflanzen in die Natur rückführen, aber das wird leider immer schwieriger (wegen des Klimawandels).”

DIE SUKKULENTEN-SAMMLUNG IM WÜSTEN-GARTEN IST WAHRSCHEINLICH UNSERE GRÖSSTE KERNKOLLEKTION. SIE SOLL DIE UNGLAUBLICHE PFLANZENVIELFALT, DIE WIR AUF DER ERDE HABEN, VERANSCHAULICHEN UND DAZU BEITRAGEN, SIE ZU SCHÜTZEN. WIE SCHÜTZT MAN DIESE PFLANZEN? NUN, ZUALLERERST MUSS MAN SIE VERSTEHEN.

Insider-Tipp: „Nun ist er wahrscheinlich kein Geheimnis mehr”, sagt Cavender über ihren versteckten Lieblingsplatz in den Gärten. „Wenn man zum nördlichen Aussichtspunkt geht und dort abbiegt, findet man auf der einen Seite den Kameliengarten und auf der anderen Seite zahlreiche verschlungene Pfade. Man übersieht sie leicht , wenn man die Gärten das erste Mal besucht. Es gibt jede Menge Pfade zu entdecken, und ich würde es jedem empfehlen, sich ein wenig darin zu verlaufen. Man kann sich nicht wirklich verlaufen, aber es ist ein schöner, schattiger Bereich – vor allem an heißen Tagen. Es gibt sogar eine bildhauerische Bank, die ich erst ziemlich spät entdeckt habe – sie ist gut sichtbar versteckt. Das ist ein Bereich, den man auf jeden Fall ausgiebiger erkunden sollte.”

Das Museum

<em>The Blue Boy</em> von Thomas Gainsborough, um 1770; <em>A Portrait of a Young Gentleman</em> von Kehinde Wiley, 2021
The Blue Boy von Thomas Gainsborough, um 1770; A Portrait of a Young Gentleman von Kehinde Wiley, 2021

Das Museum ist im ehemaligen Haus von Henry und Arabella Huntington untergebracht und verströmt ein angenehmes, heimeliges Gefühl, das es einzigartig macht. In der Sammlung finden sich zahlreiche Kunstwerke britischer Porträtmalerei im großen Stil aus dem 18. Jahrhundert, wie zum Beispiel The Blue Boy (1770) sowie Thomas Lawrences Pinkie (1794) und Joshua Reynolds Sarah Siddons as the Tragic Muse (1784). In anderen Teilen der Galerie gibt es wichtige Sammlungen britischer Landschaften aus dem 19. Jahrhundert sowie amerikanische Kunst, Möbel und Skulpturen des 19. und 20. Jahrhunderts. Eine der jüngsten Ankäufe des Museums ist Portrait of a Young Gentleman (2021) des zeitgenössischen Künstlers Kehinde Wiley, das einen gut gekleideten jungen Mann in aktueller Mode zeigt – genauso wie The Blue Boy die jugendliche Mode von vor 250 Jahren widerspiegelt. Das Gemälde wurde als Antwort auf The Blue Boy angefertigt, das Wiley als Kind gesehen und das ihn beeinflusst hat, und es hängt direkt gegenüber von Gainsboroughs Gemälde.

<em>Becoming America</em> im Jonathan and Karin Fielding Wing der Scott Galleries of American Art
Becoming America im Jonathan and Karin Fielding Wing der Scott Galleries of American Art

Insider-Tipp: Es gibt drei Kunstwerke des in Kalifornien ansässigen, zeitgenössischen Künstlers Mineo Mizuno, darunter auch Komorebi – light of forest and Thousand Blossoms, das so gut in den Hauptgang des Museums passt, dass man es auf dem Weg zu den Galerien fast übersieht. Die Installation befindet sich neben zwei figürlichen Terrakotta-Skulpturen aus dem 17. Jahrhundert, die Flora, die römische Göttin der Blumen, und eine Baumnymphe – die einen zu beobachten scheinen – repräsentieren, und enthält Hartriegelblüten aus Keramik und einen Eichenstumpf vom Fuße der Sierra Nevada, wo Mizuno lebt. Nicht zu übertreffen: Draußen, auf der Loggia des Museums, steht Mizunos Kunstwerk Nest, das in der natürlichen Umgebung des Huntington zu verstehen ist. Die Basis der Kunstwerke bilden Manzanita-Zweige (ebenfalls vom Fuße der Sierra Nevada), die mit Stahl, Aluminium, Hanf und Keramik kombiniert wurden, um nestähnliche Formen zu schaffen, die das Gelände des Huntington überblicken und der perfekte Ort zum Nachdenken sind.

Maxwell Williams ist Schriftsteller und Parfümeur in Los Angeles. Er hat unter anderem für L’Officiel, Vogue und Condé Nast Traveler geschrieben.
  • MIT FREUNDLICHER GENEHMIGUNG VON THE HUNTINGTON LIBRARY, ART MUSEUM, AND BOTANICAL GARDENS