Die große Kälte

Die kühnsten Surfer der Welt fahren nicht in die Tropen, sondern reiten die Wellen in arktischen Regionen – von Norwegen bis Newport

Wenn der Winter seinen Höhepunkt erreicht, ist die Versuchung groß, vom Surfen in warmem Wetter zu träumen. Aber jeder echte Surfer weiß, dass die Wellen im Winter am besten sind. Für alle, die immer in sommerliche Regionen wie Hawaii oder Indonesien fahren, ist das kein Thema. Aber diejenigen, die beim Surfen nicht den gleichen Verkehr wie auf einer Autobahn haben wollen, finden die kälteren Klimazonen des weiten weißen Nordens besser – auch wenn es dort klirrend kalt ist.

Bei Wassertemperaturen um den Gefrierpunkt (und manchmal tatsächlich gefrierender Luft) bieten Norwegen und Island kilometerlange Strände zum Surfen. Aber Vorsicht: Das ist nichts für Anfänger! „Es ist schon ein- oder zweimal vorgekommen, dass ich draußen auf dem Wasser war und mir so kalt wurde, dass ich herausgetragen werden musste“, sagt Chris Burkard, langjähriger Fotograf von Surfer Magazine und Wegbereiter des arktischen Surfens. Kältekopfschmerz, Schneeblindheit und Frostbeulen sind nur einige der Unbilden beim Surfen in der Kälte. Aber für einige ist es das wert. „Am Rand der Welt gibt es perfekte Wellen“, sagt Burkard. „Du musst dich nur auf den Weg machen und sie suchen.“
                            Ein Surfer beobachtet in Unstad die Wellen. „Riesige Berge ragen direkt aus dem Ozean empor“, sagt ein anderer Surfer. „Du vergisst einfach, dass du surfen bist“
Ein Surfer beobachtet in Unstad die Wellen. „Riesige Berge ragen direkt aus dem Ozean empor“, sagt ein anderer Surfer. „Du vergisst einfach, dass du surfen bist“

LOFOTEN, NORWEGEN
Extremer als die Surfbedingungen im Winter auf den Lofoten geht es nicht. Die Inselgruppe liegt zwischen dem 67. und dem 68. Grad nördlicher Breite und ragt an ihrem südlichsten Punkt etwa 115 Kilometer in den Polarkreis hinein. Obwohl die Temperaturen nicht so kalt sind, wie man vielleicht erwarten würde (dank Golfstrom sind die Lofoten wärmer, als es ihrer Lage entspricht), sind sie doch nahe am Gefrierpunkt und damit mehr als kalt genug. Das unberechenbare Wetter macht die Sache noch schwieriger. Pat Millin, Profi-Surfer aus San Diego und Veteran des arktischen Surfens, erinnert sich noch gut an einen Surftrip bei einem Schneesturm. „Direkt nachdem der Schneesturm vorbei war, kam plötzlich die Sonne raus“, so Millin. „Alles war so weiß, dass es weh tat, meine Augen zu öffnen. Und dann hagelte es.“ Aber all diejenigen, die sich den Elementen stellen, werden mit tollen Wellen und einer atemberaubenden Szenerie belohnt. „Riesige Berge ragen direkt aus dem Ozean empor“, sagt Millin. „Du fühlst dich wie im Gebirge und vergisst einfach, dass du surfen bist.“

Unstad, Vestvagoy, Lofoten, Norwegen
Durchschnittliche Lufttemperatur im Januar : -1,7 Grad Celsius
Durchschnittliche Meerestemperatur im Januar : 6 Grad Celsius
Am Rand der Welt gibt es perfekte Wellen. Du musst dich nur auf den Weg machen und sie suchen.
                            Wanderung durch den Schnee auf der Suche nach der perfekten Welle
Wanderung durch den Schnee auf der Suche nach der perfekten Welle

ISLAND
Als Brett Barley, Profi-Surfer aus Cape Hatteras vor der Küste von North Carolina, seinen ersten arktischen Surftrip nach Island machte, war er sich nicht sicher, was ihn erwarteten würde. „Die Wassertemperaturen waren fast so wie zuhause“, sagt Barley. „Aber das Wetter ist anders – entweder regnet es bei Temperaturen um 0 Grad Celsius, oder es schneit und hagelt.“ Island liegt zwischen der Grönlandsee und dem nördlichen Atlantik und verfügt über fast 5.000 Kilometer zerklüftete vulkanische Küste. (Und da ca. 93 Prozent der knapp über 317.000 Einwohner des Landes in urbanen Regionen leben und nicht allzu verrückt aufs Surfen sind, ist dort fast nie etwas los.) Viele Gegenden auf Island sind (je nach Jahreszeit) nur mit Geländewagen erreichbar. Island ist daher der einzige Ort auf der ganzen Welt, wo es Regionen gibt, die von Surfern noch unberührt sind.

Höfn, Island
Durchschnittliche Lufttemperatur im Januar : 0,6 Grad Celsius
Durchschnittliche Meerestemperatur im Januar : 5,6 Grad Celsius
                            „An vielen dieser kalten Orte wird das Wasser richtig gefürchtet. Wenn du reinfällst, stirbst du“, sagt Millin
„An vielen dieser kalten Orte wird das Wasser richtig gefürchtet. Wenn du reinfällst, stirbst du“, sagt Millin

FÄRÖER-INSELN
Die Färöer sind eine Inselgruppe mit 18 Inseln und liegt genau in der Mitte zwischen Norwegen und Island. Ähnlich wie auch die Lofoten sind die Färöer-Inseln mit ihren eindrucksvollen Reef Breaks und Beach Breaks wie ein gefrorenes Abbild von Hawaii. Natürlich mit der Ausnahme, dass es hier nicht solche Menschenmassen gibt wie auf Hawaii. Das liegt zum Teil an der kleinen Bevölkerung der Färöer. Ein weiterer Grund ist, dass die Einwohner etwa die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts durch Fischerei decken und daher einen gesunden Respekt vor der Macht des Ozeans haben. „An vielen dieser kalten Orte wird das Wasser richtig gefürchtet“, sagt Millin. „Wenn du reinfällst, stirbst du. Als ich auf den Färöern war, haben sich die meisten nur gewundert und gefragt ,Was macht ihr da?‘“

Torshavn, Streymoy, Färöer-Inseln
Durchschnittliche Lufttemperatur im Januar : 3,3 Grad Celsius
Durchschnittliche Meerestemperatur im Januar : 7,8 Grad Celsius
                            Die Breaks in Bundoran in Irland, das als Surfort immer beliebter wird, aber (noch) nicht so überlaufen ist wie Kalifornien
Die Breaks in Bundoran in Irland, das als Surfort immer beliebter wird, aber (noch) nicht so überlaufen ist wie Kalifornien

IRLAND
Irland ist weltweit einer der beliebtesten Orte für Winter-Surfen geworden. (Auch wenn das kaum jemand weiß.) An Orten wie County Donegal's Bundoran, Inishowen, Fanad Head und einem Ort mit dem furchteinflößenden Namen Bloody Foreland findet man viele Reef, Point oder Beach Breaks. Und zwischen November und März sind die Surfbedingungen in Mullaghmore Head, County Sligo, mit erstklassigen, riesigen Wellen am besten. Sie sind so etwas wie die Linksausführung der Monsterwellen von Mavericks in Kalifornien. Irland ist im Gegensatz zu Norwegen oder Island bereits als Ziel für Surfer etabliert. Im ganzen Land gibt es Surf-Shops wie Bundoran Surf Co. in County Donegal. Aber auch wenn Irland nicht mehr so unberührt ist wie früher, braucht man keine Angst zu haben: So überlaufen wie in Kalifornien ist es noch lange nicht.

Bundoran, Donegal, Irland
Durchschnittliche Lufttemperatur im Januar : 3,3 Grad Celsius
Durchschnittliche Meerestemperatur im Januar : 10 Grad Celsius
                            „Die Wassertemperaturen an der Ostküste sind genauso kalt wie an unseren anderen Reisezielen“, sagt ein Surfer
„Die Wassertemperaturen an der Ostküste sind genauso kalt wie an unseren anderen Reisezielen“, sagt ein Surfer

RHODE ISLAND
Für alle, die es nicht nach Übersee zieht, gibt es auch in den USA genügend Gelegenheit, gegen die Kälte anzukämpfen. „Die Wassertemperaturen an der Ostküste sind genauso kalt wie an unseren anderen Reisezielen“, sagt Burkard. Eines der beliebtesten Ziele in Neuengland im Winter ist Newport, Rhode Island, und seine Umgebung. „Die Schönheit von Rhode Island liegt in seiner Vielfalt“ sagt Matt Olerio, der hier aufgewachsen und heute Co-Eigentümer und -Gründer von East Surf Co. in Brooklyn ist. Es gibt Beach Breaks wie in Second Beach, in Middletown, oder Reef Breaks wie in Ruggles, in Newport. Einer der besten Point Breaks an der Ostküste befindet sich am Strand von Point Judith Lighthouse, in Narragansett. Aber nicht nur die Qualität der Wellen zieht so viele Surfer im Winter an. „Draußen auf dem Wasser herrscht eine angenehme Stimmung“, sagt Olerio. „Solange man sich respektvoll verhält, gibt es keine großartige Konkurrenz mit den Locals.“ Außerdem, so versichert Olerio, werden die Menschenmengen dank der arktischen Konditionen im Winter auch ein bisschen kleiner.

Newport, Rhode Island
Durchschnittliche Lufttemperatur im Januar : -1,1 Grad Celsius
Durchschnittliche Meerestemperatur im Januar : 2,8 Grad Celsius
Scott Christian ist Journalist im Bereich Kultur und Lifestyle. Seine Arbeiten wurden bereits in Magazinen wie Esquire, The Guardian, GQ und Glamour veröffentlicht. Er lebt derzeit in New York City.
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