Geputzt und poliert

Nach mehr als acht Jahrzehnten ist Jim’s Shoe Repair noch immer ein Ort, an dem Kenner—unter ihnen auch viele Ralph-Lauren-Mitarbeiter—ihre Schuhe polieren lassen und für einen Moment der Hektik der Stadt entfliehen

In New York, einer Stadt, die sich maßgeblich durch das Neue definiert, fühlt man sich in eine andere Welt und Zeit versetzt, wenn man Jim’s Shoe Repair auf der East 59th Street betritt. Sind wir im Jahr 1983? 1962? Oder gar 1940, dem Jahr, in dem die Familie Rocco mit ihrem damals 8 Jahre alten Geschäft an seinen jetzigen Standort zog?

Bis auf einen kleinen Fernseher, der 2005 aufgestellt wurde und in dem eigentlich immer Nachrichten oder Ballspiele laufen, existiert Jim’s mit seiner Registrierkasse aus den 1930er Jahren und den hölzernen Schuhputzstühlen als fast perfekte Zeitkapsel aus einer anderen Ära der Herrenmode – und der Stadt New York. „[Frauen] sollten früher in der Öffentlichkeit nicht ihre Beine zeigen“, sagt Joe Rocco Jr., Ladeninhaber in dritter Generation. Und die Frauen heute? Rocco stellt seinen Fuß auf den Fußsockel und deutet damit an, dass sich moderne Frauen etwas weniger in Zurückhaltung üben.

Rocco arbeitet seit 1971 – damals war er noch ein Teenager – in dem Geschäft und führt die Tradition seines Großvaters Vito fort, einem Einwanderer aus Neapel, der von seinen Freunden „Jimmy“ genannt wurde. „Ich wusste das bis vor fünf Jahren selbst nicht“, erzählt Rocco. „Alle fragen immer: ‚Warum heißt der Laden Jim’s? Es gibt doch gar keinen Jim hier.' Also habe ich meinen Vater gefragt und er sagte mir, dass mein Großvater Jimmy genannt wurde.“

Die Mitarbeiter im Geschäft nehmen alle Ausbesserungen von Hand vor und reparieren alles, von Schnürstiefeln über Brogues bis zu Pfennigabsätzen und 15-cm-Stilettos. Sie begrüßen Herausforderungen, vor die Kunden sie stellen, auch wenn das manchmal heißt, einen ganzen Schuh praktisch neu zusammenzubauen. (Die größten Übeltäter: Streusalz und des Menschen bester Freund. Hunde können einen Schuh regelrecht auseinandernehmen, so Rocco.)

Doch dieser Laden ist viel mehr als ein Ort, an dem man Schuhe neu besohlen lässt. Für seinen breiten – und nicht selten wohlhabenden – Kundenstamm ist Jim’s ein kleiner Zufluchtsort vor der hektischen Metropole, an dem man einen Plausch halten, die neusten Neuigkeiten erfahren und die absolut beste Schuhpolitur der Stadt bekommen kann. Viele Kunden kennen das Geschäft noch aus Kindertagen, als sie mit ihren Eltern herkamen, und führen diese Tradition nun mit ihren eigenen Kindern fort. (Aufgrund seiner Lage wurde Jim’s schon immer auch von Prominenten aufgesucht, was Rocco jedoch relativ unbeeindruckt lässt. „Ich warte nicht auf Stars. Die Hälfte erkenne ich ohnehin nicht. Aber im Laufe der Jahre sind schon viele Berühmtheiten hier gewesen. Einer, dessen Namen ich vergessen habe, kam jeden Samstag, um sich die Schuhe polieren zu lassen...der aus Jäger des verlorenen Schatzes?“)

Man könnte meinen, Institutionen wie Jim’s seien eine Selbstverständlichkeit. Doch was sich vor einigen Jahren zugetragen hat, belehrt einen eines Besseren. Im Jahr 2012 wurde bekannt, dass der Hausbesitzer die Räumlichkeiten des Jim's an eine benachbarte Apotheke zu verpachten gedachte, die sich vergrößern wollte. Um ein Haar wäre ein 80 Jahre altes Familienunternehmen einfach so aus dem Stadtbild verschwunden.

Glücklicherweise konnte Jim’s mit Hilfe einer von mehreren Tausend Unterstützern unterzeichneten Petition sowie des Anwalts William A. Brewer III, der seine Kanzlei in der Nähe hat, gerettet werden. „Ich bin seit über 15 Jahren Kunde in diesem Geschäft“, sagt Brewer, der die kostenlose Rechtsvertretung übernahm und als Hauptanwalt fungierte. „Jim’s ist aus der Gemeinde nicht wegzudenken. Wenn ich mit meinen Söhnen auf diesen Schuhputzstühlen sitze, reden wir über diese Tradition, die von Generationen von New Yorkern geschätzt und gepflegt wird.“

Mindestens eine weitere Generation von New Yorkern wird sich noch auf diese Tradition verlassen können, denn 2014 willigte der Hausbesitzer in letzter Minute ein, den Mietvertrag des Jim’s um weitere neun Jahre zu verlängern.

Für Rocco, sein langjähriges Team (einer der beliebtesten Schuhputzer, Antonio DeOlivira, ist seit 28 Jahren dabei) und seinen Sohn Andrew (der mittlerweile vierten Generation) ist das ein Segen. Und selbstverständlich auch für die Nachbarschaft und die Anwohner, zu denen auch die Mitarbeiter der New Yorker Büros von Ralph Lauren zählen.

Während Jim’s sich auch weiterhin durch den Charme und die meisterhafte Handwerkskunst der alten Welt auszeichnet, ist Rocco seit kurzem erfolgreich dabei, auch im digitalen Zeitalter Fuß zu fassen. Sein Online-Projekt cobblerconcierge.com bietet Schuhreparaturen per Post an – zu Pauschalpreisen und von derselben Qualität, wie man sie in Jim’s Laden erhalten würde. Eine praktische Sache, auch wenn man die kleine Zeitreise in die Vergangenheit nur erleben kann, wenn man das echte Jim’s in New York betritt.
Andrew Paine Bradbury ist Schriftsteller und Musiker in New York City.
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