RL – FRAGEN UND ANTWORTEN: Earl Spencer

Der britische Adlige erinnert sich an seine Kindheit in Althorp – dem historischen Anwesen der Spencer-Familie, das als atemberaubende Kulisse für die Herbstkampagne 2015 von Ralph Laurens Purple Label diente

Allein was die Zahlen angeht, ist Althorp unbestritten ein eindrucksvoller Ort. Fünf Jahrhunderte Geschichte. Ein rund 5.300 Hektar großes Anwesen. Wälder mit über 400 Jahre alten Bäumen und zahlreichen Wildtieren, einige davon seltene oder gefährdete Arten. Über 100 Gebäude, darunter ein 1508 erbautes, spektakuläres Haus mit 90 Zimmern. Die Statistik erzählt natürlich nur einen Teil der Geschichte; hier aber zu guter Letzt noch eine Zahl: Althorp beherbergt die englische Spencer-Familie bereits seit 19 Generationen.

Althorp diente als Kulisse für das Fotoshooting der Herbstkampagne 2015 von Purple Label. Um jenseits der Statistiken die vollständige Geschichte dieses historischen englischen Landguts zu erfahren, wandten wir uns an seinen Besitzer, Charles Spencer – den neunten Earl Spencer. Er hat die vergangenen 23 Jahre damit verbracht, Althorp von Grund auf zu restaurieren, und dabei noch die Zeit gefunden, fünf historische Bücher zu veröffentlichen. Der aktuelle Bestseller in Großbritannien, Killers of the King: The Men Who Dared to Execute Charles I, handelt vom englischen Bürgerkrieg im 17. Jahrhundert zwischen den Anhängern des britischen Parlaments und König Karls I., einem Vorfahren der Spencers. ("Ich sage manchmal scherzhaft, mein Buch ist wie Game of Thrones im 17. Jahrhundert", so Spencer.)

Mit uns spricht der sonst pressescheue englische Gentleman über seine persönliche Beziehung zum diesem stattlichen Familiensitz, den dort herrschenden traditionell-modernen Dresscode und die Frage, ob es auf dem Anwesen spukt.
                            Lady und Lord Spencer
Lady und Lord Spencer

Als Jugendlicher arbeiteten Sie als Reiseführer in Althorp. Wie kamen Sie dazu?
Ich bin auf diesem herrlichen Anwesen aufgewachsen und interessierte mich schon als Schulkind besonders für Geschichte. Da bot es sich einfach an, hier in den Sommerferien Führungen zu machen. Ich hatte schon immer eher einen Bezug zu den Geschichten, die sich hinter den 650 Porträts der Althorp-Sammlung verbergen, als, sagen wir, zu dem Porzellan oder den Möbeln. Für mich hat Geschichte immer mit Menschen zu tun, und so viele der Männer und Frauen in ihren vergoldeten Bilderrahmen hatten einfach faszinierende Biografien – dem konnte man sich einfach nicht entziehen. Und nicht zuletzt habe ich mich als Junge auch über das Taschengeld gefreut, das ich so verdienen konnte!

Was sind die lebhaftesten Erinnerungen an Ihre Kindheit in Althorp?
Meine frühesten Erinnerungen habe ich an unsere Besuche in Althorp, als ich ein kleiner Junge war und meine Großeltern hier lebten. Meine Großmutter war eine wunderbare Frau. Nach ihrem Tod 1972 wurde das örtliche Hospiz in ihrem Andenken "Cynthia Spencer" genannt. Noch immer höre ich Geschichten darüber, wie sie im Stillen Gutes tat. Sie war sehr liebevoll und spielte viel mit uns. Mein Großvater tat sich mit Intimität schwerer. Er war eine respekteinflößende Persönlichkeit, typisch für das Zeitalter Eduards VII., und als Kinder strengten wir uns sehr an, uns in seinem Beisein besonders gut zu benehmen. Diana [Earl Spencers Schwester, die spätere Prinzessin von Wales] und ich schliefen immer zusammen im Kinderschlafzimmer, in dem eine flackernde Kerze stand, damit wir uns in der Dunkelheit in diesem riesigen Haus mit den seltsamen Geräuschen, die vom umherlaufenden Sicherheitspersonal, den knarrenden Dielen und dem gedämpften Schlagen der alten Uhren herrührten, nicht zu sehr fürchteten.

Und was gefällt Ihnen heute, da Sie als Erwachsener dort leben, besonders an Ihrem Zuhause?
Ich übernahm Althorp im Alter von nur 27 Jahren. Seitdem habe ich die Dächer erneuern, den Außenbereich neu verfugen und die sanitären und elektrischen Anlagen erneuern lassen, und ich habe fast jedes der über 90 Zimmer neu dekoriert. Das Anwesen gefällt mir von Jahr zu Jahr besser – seine Geschichte, seine Schönheit, seine urenglische Eleganz. Es stehen immer neue Projekte an, schließlich ist das hier ein modernes Anwesen – das heißt, es bleibt immer spannend und jedes Jahr bringt etwas Neues. Ich habe das Glück, auch über andere Wohnsitze zu verfügen, aber ich denke, ich spreche für jedes Mitglied der Spencer-Familie, wenn ich sage, dass unser Herz hier zu Hause ist – wo auch immer wir uns auf der Welt befinden.

Althorp ist seit Jahrzehnten für seine Kunstsammlungen bekannt. Haben Sie ein Lieblingsgemälde oder -kunstwerk?
Mein Lieblingswerk ist ein wunderschönes Portrait von Sarah, der ersten Herzogin von Marlborough, von Sir Godfrey Kneller. Dieses Gemälde verleiht der 37 Meter langen Gemäldegalerie von Althorp einen besonderen Glanzpunkt. Sarah brachte der Familie Spencer den größten Nutzen ein, da sie uns ihre Besitztümer hinterließ. Neben 27 Ländereien vermachte sie Althorp den Großteil ihrer Kunstsammlung, zu der dieses exquisite Portrait von ihr selbst gehört – ein wunderschönes Werk, an dem ich besonders die schwarzen und grauen Linien der Umrisse liebe, die die rote Explosion ihrer Lippen umranden.

Bei einem Zuhause wie Althorp wäre es nur allzu verständlich, wenn man es nicht oft verlassen würde. Und doch sind Sie viel in der Welt herumgekommen.
Ich bin froh, dass ich ein Leben außerhalb von Althorp hatte. Nach meinem Studium in Oxford arbeitete ich in den 80er- und 90er-Jahren für die TODAY Show von NBC News, wo ich in insgesamt 30 Ländern Bericht erstattete. In diesen Jahren lernte ich mehr über das Schreiben als während meiner Zeit in Oxford.

                            Sarah, die erste Herzogin von Marlborough, von Sir Godfrey Kneller lackiert
Sarah, die erste Herzogin von Marlborough, von Sir Godfrey Kneller lackiert
Für jedes Mitglied der Spencer-Familie, ist Althorp, wo unser Herz ist, wo auch immer wir sind in der Welt.

Wie sollten sich diejenigen, die das Glück haben, eine Einladung auf das Anwesen zu bekommen, kleiden und wie hat sich die Kleiderordnung im Laufe der Jahre verändert?
Im Alltag kleiden meine Frau Karen und ich uns ziemlich lässig. Sie ist sehr schön und von Natur aus elegant, an ihr sieht also alles toll aus. Uns ist aber auch bewusst, dass die Menschen, die Althorp am Wochenende besuchen, sich gerne schön machen und elegant kleiden. Das wird so erwartet und auf gewisse Weise ehren sie dadurch das Haus. An Samstagabenden ist elegante Abendmode angesagt. An sechs oder sieben Wochenenden im Jahr ist unser Haus voll mit Familienmitgliedern und Freunden. Solche Abende erinnern am meisten an die Zeit, als es hier noch viel formeller zuging. Wir möchten aber auch, dass die Menschen sich in Althorp amüsieren und nicht im Schatten der Geschichte stehen. Deshalb gilt die Kleiderordnung nur an diesen Abenden und sonst nicht. Die Menschen können kommen, wie sie möchten. Manche sind sehr eitel und manche kommen einfach in Chinos.

Am Ende möchten wir mit Ihnen über Geister sprechen, für die große Anwesen wie das Ihre berühmt sind. Sind Sie in letzter Zeit welchen begegnet?
Vor etwa 20 Jahren hat eine Dame, die damals die neue Freundin eines guten Freundes war, felsenfest behauptet, dass sie dem Geist eines Stallknechts von Althorp begegnet sei, einem Mann, der, wie ich herausfand, bereits seit Jahren tot war. Die Details, die sie berichtete, waren erstaunlich und ich bin sicher, dass sie wirklich glaubte, was sie erzählte. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es hier spuken könnte. Dafür ist der Ort einfach zu fröhlich und optimistisch. Geister passen einfach nicht zu Althorp.

Fotos von die Herbstkampagne 2015 von Ralph Laurens Purple Label, vor Ort erschossen in Althorp
Fotos von die Herbstkampagne 2015 von Ralph Laurens Purple Label, vor Ort erschossen in Althorp
Der regelmäßig für das RL Mag tätige Autor Christian Chensvold, bekannt für seine Website Ivy Style, stellte kürzlich seine neue Website Masculine Interiors online, die elegante maskuline Räume vorstellt.
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  • MIT FREUNDLICHER GENEHMIGUNG VON ALTHORP
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