Das Sternenbanner

Ein zentrales Symbol der US-amerikanischen Geschichte wird in der Hauptstadt Washington restauriert

Mit demselben Respekt vor der Geschichte, die die von Abnutzung gezeichnete Flagge erzählt, widmeten sich Restauratoren des National Museum of American History der Smithsonian Institution der Erhaltung und Restaurierung eines der wichtigsten Textilien Amerikas: dem Sternenbanner. Man sieht es ihr nicht an, doch hat es an die zehn Jahre harter Arbeit in Anspruch genommen, um den zerschlissenen Zustand der Flagge zu erhalten, die durch das Lied von Francis Scott Key unsterblich gemacht wurde und ihm auch seinen Spitznamen verdankt. Und laut Jim Gardner, dem früheren stellvertretenden Direktor für kuratorische Fragen des Museums, geht es auch genau darum. „Unser Ziel war es nicht, die Fahne so zu restaurieren, dass sie wie neu aussieht, sondern sie für künftige Generationen zu bewahren“, sagt er.

1998 wurde die Fahne von der Wand abgenommen, an der sie seit 1964 gehangen hatte. In einem langen Evaluierungsprozess mit 50 internationalen Experten – Restauratoren, Kuratoren, Historikern, Ingenieuren und Biowissenschaftlern – wurde entschieden, wie man am besten vorgehen würde. Techniker begannen damit, die 1914 mit 1,7 Millionen Nadelstichen angenähte Rückwand aus Leinen zu entfernen. Als nächstes wurden Schmutzpartikel mithilfe von Kosmetikschwämmen entfernt und die Oberfläche mit einer Wasser-Azetonmischung gereinigt, um schädigende Rückstände zu beseitigen. Anschließend wurde eine neue Rückseite aus dem seidenähnlichen Material Stabiltex aufgenäht. Vom Endergebnis haben sich seit 1999 Millionen von Museumsbesuchern überzeugen können.
„Ich habe schon immer Dinge geliebt, die nicht mehr ganz neu sind, wie zum Beispiel ein altes kariertes Hemd, das mit Flicken versehen und ausgebessert wurde, oder ein altes Auto, das ein bisschen verbeult und dessen Farbe verblasst ist. Diese Patina ist der Beweis einer arbeitsreichen Geschichte und eine Art Ehrlichkeit, die für mich sehr amerikanisch ist.“
– Ralph Lauren in seinem Vorwort zum Buch
Das Sternenbanner: Ein Symbol Amerikas

Die Flagge zeigte ursprünglich 15 Sterne und 15 Streifen, entsprechend der Anzahl der Bundesstaaten, die 1794 vom Kongress bestimmt wurden. Sie maß 9 mal knapp 13 Meter – groß genug, um auf einem 27 Meter hohen Fahnenmast am Fort McHenry in Maryland gehisst zu werden. Sie wurde von Mary Pickersgill, einer professionellen Flaggenweberin aus Baltimore, für ein Honorar von 405,90 € gefertigt – ein damals lukrativer Auftrag. Die Flagge wurde während des Britisch-Amerikanischen Krieges am 13. und 14. September 1814 in der entscheidenden Schlacht von Baltimore gehisst. Francis Scott Key, ein Rechtsanwalt, der die Schlacht von einem amerikanischen Schiff aus mit Sorge verfolgte, ließ sich zu einem Gedicht inspirieren, als er nach der Belagerung zu dem Fort blickte und die Flagge immer noch wehen sah. Heute misst das Sternenbanner noch ca. zehn mal neun Meter und es fehlt ein Stern – der Verlust steht im Zusammenhang mit seinem Einsatz im Fort McHenry und mit der Angewohnheit von Besuchern, kleine Stückchen als Souvenirs mitzunehmen.

Um die feinen Fasern der Flagge zu erhalten, wurde im Rahmen einer Renovierung 1999 eine eigene Galerie im Smithsonian eingerichtet. Dem Projektmanager Jeffrey Brodie zufolge nahmen die technische Planung und der Bau des neuen Flaggenraums beinahe so viel Zeit in Anspruch wie die aufwändige Textilkonservierung. Der Raum bietet nun aber bestmögliche Bedingungen für die Flagge. Die Beleuchtung, Temperatur und Luftfeuchtigkeit werden sorgfältig überwacht.
                            Das Sternenbanner am Tag seiner Ankunft am Smithsonian im Juli 1907
Das Sternenbanner am Tag seiner Ankunft am Smithsonian im Juli 1907

Die Räumlichkeiten sind jedoch nur ein Aspekt der Bemühungen. Die neue Dauerausstellung, so Brodie, erfüllt außerdem den Zweck, die Flagge in ihrem historischen Kontext zu präsentieren. Im September 1814 waren die Vereinigten Staaten „eine frischgebackene Nation, die um ihre eigene Wirtschaft kämpfte und darum, sich in einer von Europa dominierten Welt zu etablieren. Die Briten hatten gerade das Weiße Haus und die Bibliothek des Kongresses niedergebrannt, [Washington, D. C.] geplündert und sich auf den Weg nach Baltimore gemacht, wo sie auf erbitterten und leidenschaftlichen Widerstand stießen.“ In der Einführung zur Ausstellung werden die Gefahren der damaligen Zeit anhand von historischen Waffen wie Bomben und Raketen sowie einem verkohlten Holzstück aus dem Weißen Haus verdeutlicht. Auf die Hauptattraktion wird man jedoch deutlich subtiler eingestimmt. Besucher werden zunächst durch einen langen Gang geleitet, in dem sich ihre Augen nach und nach an die Dunkelheit gewöhnen, bis schließlich die Flagge, horizontal in einem Glaskasten ausgestellt, wie im „frühen Licht der Morgendämmerung“ erscheint.

Gardner erklärt: „Ziel ist es, dass alles andere in diesem Raum verschwindet und nur die Flagge zu sehen ist, schimmernd, mit [Keys] Versen im Hintergrund.“ Wenn das dramatisch klingt, dann ist das durchaus beabsichtigt: Als Key sein Gedicht schrieb, „stand das Schicksal der jungen Nation auf dem Spiel, und diese Flagge symbolisiert einen entscheidenden Moment in der Geschichte der Nation“, fügt Gardner hinzu. „Man könnte sagen, dass die Unabhängigkeit Amerikas im Unabhängigkeitskrieg erkämpft wurde – sie aber erst 1814 für die Zukunft gesichert wurde.“
                            John Bowers legendäres Bild „A View of the Bombardment of Fort McHenry“ wurde 1814 fertiggestellt und zeigt die Flagge, nach wie vor gehisst, während der Schlacht zwischen den Vereinigten Staaten und dem Vereinigten Königreich am 13. September desselben Jahres
John Bowers legendäres Bild „A View of the Bombardment of Fort McHenry“ wurde 1814 fertiggestellt und zeigt die Flagge, nach wie vor gehisst, während der Schlacht zwischen den Vereinigten Staaten und dem Vereinigten Königreich am 13. September desselben Jahres
  • Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung des National Museum of American History